Die Geschichte des Fernunterrichts begann in Deutschland bereits in der Mitte 19. Jahrhunderts. Doch es dauerte noch knapp 50 Jahre, bis der Begriff Fernschule erstmals auftauchte.
In einer Kurzgeschichte in „DIE WOCHE. Moderne illustrierte Zeitschrift“ aus dem Jahr 1899 mit dem Titel „Die Fernschule“ beschreibt der Pionier der utopischen Literatur in Deutschland Kurd Laßwitz eine außergewöhnliche Begebenheit im Leben des Gymnasial-Professors Frister.
Dieser kam nach vier Unterrichtsstunden ermattet nach Hause und hoffte, vor dem Mittagessen noch ein Stündchen Ruhe zu finden. Mit seinem Schicksal als Lehrer, der den immergleichen Lehrstoff einem ewig gleichen Schülertyp beibringen musste, hadernd, setzte er sich an seinen Schreibtisch und überlegte: Vielleicht gibt es ja in einiger Zeit einen Weg, das Leben des Lehrers zu erleichtern. „Ich meine, die Entwicklung der Technik könnte hier einen ökonomischeren Weg finden“, so der Professor zu sich selbst. In diesem Moment war er jedoch schon in einen Tagtraum abgeglitten, der seine Idee konkretisierte und heutigen Lehr- und Lernformen relativ nahe kommt.
In seinem Traum begegnet er seinem realen Kollegen Voltheim in der 100 Jahre entfernten Zukunft im Jahr 1999. Dort ist Frister „Fernlehrer für Geographie am 211. telephonischen Gymnasium“. Seine Schüler sind ihm über Fernsprecher und Fernseher zugeschaltet und Teile des Unterrichts wurden bereits im Vorfeld aufgezeichnet. Andere Abschnitte des Unterrichts wurden live vom Fernlehrer gehalten. Der Fernlehrer selbst konnte den Unterricht von Zuhause machen, der Weg zur Schule entfiel also. An der Wand gegenüber von Fristers Schreibtisch befand sich hierzu eine „eigentümliche Gemäldegalerie“, die mit Beginn des Unterrichts lebendig wurde. Dort konnte Frister sehen, dass die Schüler in bequemer Haltung auf Sesseln saßen, um den Unterricht zu verfolgen. Da der Unterricht noch nicht begonnen hatte, frühstückten einige noch, einer rauchte eine Zigarre, ein weiterer las seine Zeitung. So sah sie also aus, die Oberprima des 211. Fernlehrgymnasiums im Jahr 1999, dachte Frister. Ähnliche Erfahrungen ermöglichen Adobe Connect und Cisco WebEx dem modernen Fernlehrer des 21. Jahrhunderts auch heute.
Aber auch für die Schüler bestand keine Notwendigkeit mehr, einen oft mühsamen Schulweg auf sich zu nehmen. Meist nutzten die Schüler die Möglichkeit, aus ihren eigenen Wohnungen heraus dem Unterricht zu folgen, wenn sie den gesamten „Fernlehrapparat“ zu Hause hatten. Schüler die dies nicht konnten, nutzten öffentliche Fernlehrstellen in der Nähe ihrer Wohnungen. Die Situation zusammenfassend stellte Voltheim, ein Kollege Fristers, fest: „Die jungen Leute wohnen, wie Sie wissen, an den verschiedensten Stellen unseres Vaterlands, denn der Fernlehrverkehr lässt sich bis auf tausend Kilometer und mehr ausdehnen.“ Dieses Argument ist eine Botschaft, die von Anbeginn des Fernunterrichts immer wieder aufgegriffen wurde und bis heute noch aktuell ist.
Fernseher und Fernsprecher ermöglichen, so Voltheim weiter, den persönlichen Austausch. Der Lehrer konnte alle Schüler gleichzeitig hören und sehen, die Schüler würden den Lehrer jedoch in einem etwas größeren Rahmen, fast in Lebensgröße, vor sich sehen. Untereinander könnten sich die Schüler jedoch nicht sehen, lediglich hören, was die Ernsthaftigkeit des Unterrichts steigerte. Die Ähnlichkeit mit modernen Systemen ist auch hier wieder verblüffend.
Auf die Frage von Frister nach den Kosten der technischen Neuerung Fernschule entgegnet sein Kollege Voltheim, dass sowohl die Einrichtung, als auch die Gehälter der Lehrer nicht unerheblich seien und der Staat keine Kosten und Mühen gescheut habe, die Fernschule einzurichten. Hier zeigen sich jedoch zwei deutliche Unterschiede zur aktuellen Situation, denn zum einen sei das von Frister geträumte Gehalt wirklich utopisch, zum anderen findet Fernunterricht heute meist außerhalb des staatlichen Schulsystems statt.
Um sowohl Schüler, als auch Lehrer vor Überanstrengung zu schützen, wurden zahlreiche technische Maßnahmen ergriffen, über Anstrengungen vorzubeugen. So waren die Sessel der Schüler mit Apparaturen versehen, die ihren körperlichen und geistigen Zustand dokumentierten. Bei Überanstrengung wurde der Kontakt zwischen Schüler und Lehrer automatisch unterbrochen und der betreffende Schüler vom Unterricht suspendiert. War dies bei zwei Drittel der Schüler der Fall, wurde der Unterricht automatisch beendet. Aber auch der Lehrer war mit einem technischen Gerät namens Hirnbinde ausgerüstet, das seinen Zustand überprüfte und dann einschritt wenn zu viel Stress auftrat. Auf solche technische Einrichtungen warten wir bis heute leider vergebens.
Während des Fernunterrichts selbst, so der Traum von Gymnasial-Professor Frister, entwickelte sich ein reger Dialog zwischen den Fernschülern und dem Fernlehrer, doch waren die Ausreden, warum man nicht lernen konnte, bzw. warum man zu spät kam oder früher gehen musste, ähnlich wie in der guten alten Zeit. Hier hat sich also nichts geändert, was wiederum auch beruhigend ist.
Die Fernschule, eine kurze utopische Geschichte, die im Jahr 1899 einen wunderbaren Blick auf die Zukunft der Bildung des ausgehenden 20. Jahrhunderts wirft, ohne so weit von der Realität des ausgehenden 20. Jahrhunderts entfernt zu sein.
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