Binger Weinstube „Der Eimer“ Wiesbaden

Eine Wiesbadener Legende wird 125 Jahre

Zur Geschichte der Binger Weinstube „Der Eimer“ Zuerst veröffentlicht als: Zinn, Holger: Eine Wiesbadener Legende wird 125 Jahre. Zur Geschichte der Binger Weinstube „Der Eimer“, in: Nassauische Annalen. Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung, Wiesbaden 2010, S. 459-476.

eimer1Aus dem Gästebuch des Eimer

1. Vorbemerkung

Der „Eimer“, wie die Wiesbadener die „Binger Weinstube“ in der Wagemannstraße liebevoll seit nunmehr über 125 Jahren nennen, ist für viele Wiesbadener und ihre Gäste ein von Legenden umwobenes Lokal. Legendär deshalb, weil es neben den großen Hotels in Wiesbaden sicherlich kein Lokal gibt, dessen Geschichte über die Grenzen der Stadt hinaus so bekannt ist wie die des „Eimer“. Der „Eimer“ ist eine „urban legend“: Jeder kennt zumindest ansatzweise seine Geschichte und vielen Wiesbadenern entlockt allein die Nennung des Namens ein Lächeln und bringt angenehme Erinnerungen zurück. Die „Binger Weinstube“, wie sie bei ihrer Gründung hieß, ist aber auch ein gutes Stück Lokalgeschichte im wahrsten Sinne des Wortes, denn der „Eimer“ ist eines der wenigen alten Weinlokale, das in der Wiesbadener Altstadt in seiner traditionellen Form überlebt hat.

eimer2 Abb. 1: Postkarte aus dem Eimer, um 1950. Deutlich ist der Wandel in der Dekoration des „Eimer“ im Vergleich zu heute zu erkennen

2. Die Quellen- und Literaturlage

Die Quellenlage zum „Eimer“ ist, wie in so vielen Fällen, in denen es um kleine Unternehmen oder Gaststätten geht, mehr als beschränkt und komplex. Quellen zur Geschichte der „Binger Weinstube“ sind an sehr vielen Stellen verstreut und einzeln zu finden. Einen einzigen oder gar den Bestand zum Thema „Binger Weinstube Zum Eimer“ gibt es weder in einem Archiv, noch in Privatbesitz.(1) Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß an zahlreichen Stellen gesucht werden mußte. Zu nennen sind hier die Baubehörden und das Stadtarchiv der Stadt Wiesbaden mit seiner Fotosammlung, das Hessische Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, die Archive der Wiesbadener Zeitungen und zahlreiche private Quellen. Auch Akten des Bauamtes in Wiesbaden boten überraschend umfangreiche Hinweise auf Aktivitäten im „Eimer“. Hierbei handelte es sich meist um Bauanträge oder Konzessionsanträge, die in enger Beziehung zu den gewerblichen Aktivitäten oder dem Wechsel der Wirtsleute stehen. Das Stadtarchiv konnte mit einer Vielzahl von Außenaufnahmen aus der Altstadt dienen, die für die Beschreibung des Umfeldes herangezogen werden konnten. Aktenmaterial ist leider nicht mehr vorhanden. Im Hessischen Hauptstaatsarchiv fanden sich nur wenige, aber um so wichtigere Hinweise. Durch sie wurden die Forschungen zum Thema erst in die richtigen Bahnen gelenkt. Eine weitere Quelle bildete die Bildersammlung des Hessischen Landesamtes für Denkmalpflege. Dort sind zahlreiche Außenansichten des „Eimer“ aus der Zeit von etwa 1890 bis in die 1980er Jahre zu finden. Sie dokumentieren den Wandel in der Wiesbadener Altstadt. Den Schwerpunkt der herangezogenen Unterlagen bildeten jedoch private Quellen. Hier ist besonders die Sammlung von Gottfried Pfeifer jun., dessen Familie über 30 Jahre den „Eimer“ bewirtschaftet hat, hervorzuheben. In den Beständen von Herrn Pfeifer befinden sich zahlreiche Fotos, die ein lebendiges Bild der Aktivitäten im „Eimer“ in der Zeit von etwa 1950 bis Anfang der 1980er Jahre bieten. Zudem ist ein Goldenes Buch der „Binger Weinstube“ in Wiesbaden in seinem Besitz. Es wurde 1928 begonnen und reicht bis in das Jahr 1985. Hierin lassen sich, neben zahlreichen Bildern, die von Künstlerhand gezeichnet wurden, auch viele Anmerkungen zum alltäglichen Leben im „Eimer“ finden. In schwerem Leder gebunden und mit goldener Prägung stellt es eine Quelle von unschätzbarem Wert dar. Weiterhin konnte auf das Archiv der Rhein-Main-Presse zurückgegriffen werden. In einer Mappe lagern dort zahlreiche Artikel rund um den „Eimer“ und das Wiesbadener Altstadt-„Schiffchen“. Diese reichten von etwa 1925 bis zum heutigen Tag. Daneben boten die Gewerbeakten des Stadtarchivs einen guten Überblick über die einzelnen Gastwirte bzw. über den Wechsel der Gastronomen. Letztlich haben Postkartensammler aus Wiesbaden noch die eine oder andere Karte aus der Geschichte des „Eimer“ beisteuern können.(2) Daneben befinden sich aber auch im „Eimer“ selbst zahlreiche Dokumente, die gerahmt an den Wänden hängen und das vielfältige Leben im „Eimer“ dokumentieren. Aber auch Gäste brachten im Laufe des Jubiläumsjahres den einen oder anderen schriftlichen oder mündlichen Hinweis zur Geschichte des „Eimer“ einfach mit. Aus diesem bunten Sammelsurium von Quellen ist dieser sicherlich nicht vollständige und endgültige Beitrag entstanden.

3. In bester Lage, aber nicht immer in bester Gesellschaft

Der „Eimer“ liegt im sogenannten „Schiffchen“, dem wohl ältesten Teil der Stadt Wiesbaden. Das „Schiffchen“, so Gretel Baumgart-Buttersack, wird begrenzt von Wagemann- und Grabenstraße, Goldgasse und Marktstraße. In früheren Zeiten hieß die Wagemannstraße noch Metzgergasse, erst 1923 wurde sie nach dem Stadtältesten Jean Baptiste Wagemann (1829–1922) benannt.(3) Er besaß in der Wagemannstraße eine Brotfabrik. Vor 1800 war die Metzgergasse zeitweise auch als Judengasse bekannt, da mehrere jüdische Familien dort wohnten. Seit etwa 1800 sind keine jüdischen Familien mehr dort ansässig, allein zwölf selbständige Metzgermeister waren jedoch in der Straße zu dieser Zeit zu finden.(4) Seit den 1870er Jahren war die Metzgergasse imm)er wieder ein Schauplatz tätlicher Auseinandersetzungen. Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auf den Wiesbadener Brotkrawall von Ende April 1873, bei dem auch gegen die Westenberger’sche Brotfabrik, die Jean Baptiste Wagemann gehörte, demonstriert wurde. Die Proteste, die letztlich zu einer „Demolierung und Verbrennung“(5) des Wagemann’schen Hauses führen sollten, waren in immens gestiegenen Brotpreisen begründet. Die rund 1.000 Teilnehmer, die auch vor Straßenkämpfen nicht zurückschreckten, wurden letztlich durch militärische Gewalt in ihre Schranken gewiesen. Sinkende Brotpreise konnten die Lage jedoch nur einige Monate beruhigen, bevor es zu weiteren Unruhen kam. Die wirtschaftliche Unsicherheit der Gründerkrise, verbunden mit instabilen und schwankenden Löhnen, die durch die Veränderung der Arbeitswelt – weg von der landwirtschaftlichen Produktion, hin zur industriellen Produktion – begründet waren, führten in diesem Zusammenhang zu immer weiter steigender Gewaltbereitschaft.(6) Speziell das Umfeld des „Schiffchens“ war deshalb immer wieder Schauplatz von Gewalttätigkeiten. Prügeleien und Messerstechereien waren alltäglich. So ist es auch nicht verwunderlich, daß die Straße immer weiter herunter kam. „Übel beleumundete Kneipen mit Animierbetrieb“(7) wurden im „Schiffchen“ heimisch und riefen die dort ansässige Bevölkerung auf den Plan. Ab 1900 wollten Bewohner und Hauseigentümer der Straßen eine Namensänderung, speziell der Metzgergasse, bei der Stadtverordnetenversammlung durchsetzen. Doch dies änderte auch nicht viel.(8) Noch in den 1950er Jahren war der Name Wagemannstraße und speziell die Ecke rund um den „Eimer“ gleichbedeutend mit dem Rotlichtviertel der Landeshauptstadt Wiesbaden. Vielen Gästen und Bewohnern der Stadt Wiesbaden war das legendäre Lokal „Rote Katze“ in der Wagemannstraße 18 ein Begriff.(9) Und etwa zeitgleich konnte man beispielsweise im Wiesbadener Tagblatt vom 13. November 1951 in einem Artikel mit der Überschrift „Wagemannstraße – eine der ältesten Geschäftsstraßen“ lesen, daß das „intime Nachtlokal ‚Oase‘ “(10) demnächst in der Wagemannstraße 18 seine Pforten öffnen werde.(11) Seit dieser Zeit und bis in die Mitte der 1970er Jahre war in der Diskussion über die Sanierung der Innenstadt immer wieder von einem Totalabbruch des „Schiffchens“ die Rede. Nach der Abkehr von der autogerechten Stadt (12) änderte sich dies: Das „Schiffchen“ sollte erhalten und wieder belebt werden. Gleichzeitig hatte sich die Rotlichtszene Wiesbadens aber bereits in andere Bereiche der Stadt verlagert(13), so daß das Viertel weitestgehend wieder seine alte Struktur erhielt. Mit seinen rund 165 Metern Länge und seiner Breite von etwa nur 30 Metern war das „Schiffchen“ über viele Jahre das Zentrum des städtischen Lebens in Wiesbaden. Es bildete also von alters her den Mittelpunkt der Stadt. Das „Schiffchen“ bildet den kleinen Kern im Herzen der Stadt mit einer ganz besonderen Atmosphäre, so Gretel Baumgart-Buttersack weiter. Besonders wird in diesem Zusammenhang die abendliche Betriebsamkeit hervorgehoben. Sie gehöre zum Flair dieses fröhlichen Viertels, denn zahlreiche Gaststätten, Weinhäuser, Lokale, Läden und Künstlerwerkstätten prägten die Stimmung im „Schiffchen“. „Und drinnen geht’s meist zünftig zu, Musik und Stimmen sprudeln lustig durcheinander!“(14), so Gretel Baumgart-Buttersack abschließend. Von den vielen Kneipen der Wagemannstraße hat in seiner „Urigkeit“(15) nur der „Eimer“ überlebt. So gilt bis heute, was ein US-Amerikanischer Reporter bereits in den 1950er Jahren schrieb:

„If you are looking for a place of real gemütlichkeit in Wiesbaden try the Eimer.“(16)

4. Das Gebäude Wagemannstraße 9

Bevor die „Binger Weinstube“ in das Gebäude der Wagemannstraße 9 einzog, war in den Räumen des „Eimer“ eine Metzgerei untergebracht.(17) Auf einem ersten Bild aus den 1890er Jahren mit Blick auf die Häuser Wagemannstraße Nummer 11 und 13 ist die „Binger Weinstube“ dann schon in der Form zu erkennen, wie sie viele Jahre existierte und bis heute noch gut rekonstruierbar ist. Zu lesen ist im linken der drei Fensterrahmen der Name des Inhabers Peter Külzer und im Fensterrahmen des mittleren Fensters die Bezeichnung „Weinstube“. Oberhalb der Fenster konnte man in großen Buchstaben „Binger-Wein-Stube“ lesen. Auch eine Laterne auf Höhe des ersten Stockwerks mit entsprechender Aufschrift wies auf die Gaststätte hin.(18) Die Bezeichnung „Eimer“ war damals offensichtlich im offiziellen Sprach gebrauch noch nicht gebräuchlich. Anders als heute waren die Scheiben aus verziertem – vermutlich geätztem – Glas. Deutlich erkennbar ist auch, daß im Obergeschoß noch Menschen gewohnt haben.(19) In einer Beschreibung der zu der nach bezeichneten Besitzung gehörigen Gebäude, Hofräume und Hausgärten(20), die im Rahmen der Gebäudesteuer-Verwaltung der Stadt Wiesbaden 1908 erstellt wurde, ist erstmals näheres über das Gebäude Wagemannstraße 9 zu erfahren. Es wurde damals als Wohnhaus mit Hofraum, das dreieinhalb Stockwerke umfaßte, ausgeführt. Seine Bauweise war massiv, das Dach mit Ziegeln gedeckt, und der bauliche Zustand des Gebäudes wurde vom damaligen Autor als gut bezeichnet. Der Keller war ein Haushaltungskeller, der zu den Wohnungen gehörte. Im Erdgeschoß befanden sich eine Wirtschaft und ein Abtritt, im ersten Obergeschoß zwei Zimmer, eine Küche und ein Abtritt, im zweiten Obergeschoß zwei Zimmer und ein Abtritt. Das Dachgeschoß bestand aus zwei Mansarden.(21) Auf einer Karte des „Schiffchens“ etwa aus dem Jahr 1910 ist die Wagemannstraße 9 selbstverständlich in den gleichen Abmaßen wie heute eingetragen, doch befindet sich zwischen ihr und der Grabenstraße 8 auf der Rückseite des „Schiffchens“ noch ein kleiner Innenhof, der offensichtlich nur durch die beiden Häuser zu betreten war und heute so nicht mehr existiert.(22) In einem Vermerk über die Grundsteuerverhältnisse wird um 1920 festgestellt, daß der damalige Eigentümer des Gebäudes bereits seit vielen Jahren der Wiesbadener Geflügelhändler Philipp Hölzer war. 1954 ging das Gebäude an Elisabeth Tönnessen, geborene Hölzer, sowie andere, nicht namentlich genannte Miterben über.(23) Am 24. Juli 1930 wurde das Gebäude Wagemannstraße 9 an Karl Preisel und seine Frau Maria vermietet. Insgesamt bestand es aus fünf Zimmern, einer Küche, einer Mansarde, einem Keller und einem Wirtschaftsraum im Erdgeschoß, so der Mietvertrag damals. Weiter wurde im Mietvertrag vermerkt: „Die gemieteten Räume sollen benutzt werden als Privatwohnung und als Geschäftsräume zum Betrieb einer Gastwirtschaft.“(24) Beginnen sollte das Mietverhältnis am 1. Oktober 1930. Der Vertrag war auf die Dauer von sechs Jahren bis zum 30. September 1936 geschlossen. Erfolgte bis drei Monate vor Vertragsende keine Kündigung, so verlängerte sich der Vertrag automatisch um sechs Jahre. Als Mietzins wurde eine Summe von stattlichen 335 Reichsmark pro Monat vereinbart. In dieser Summe schienen alle Nebenkosten eingeschlossen zu sein. Aus dem Vertrag gehen zumindest keine weiteren Angaben hervor.(25) Zu diesem Zeitpunkt waren in allen Fenstern des Erdgeschoßes noch die geätzten Scheiben aus den Anfangsjahren vorhanden, wie zeitgenössische Bilder beweisen.(26) Um 1950 erhielt der „Eimer“ die Fassade, die er noch heute weitestgehend besitzt. Am 10. August 1951 wurde bei der Stadt der Antrag gestellt, die Außenfassade der Gaststätte „Binger Weinstube“ zu verputzen. Die Farbe sollte gebrochenes Elfenbein ab dem Obergeschoß sein(27) und die Fenster sollten in einem anderen Ton abgesetzt werden. Das Holzwerk im unteren Stock sollte jedoch von den Renovierungsarbeiten unbe rührt bleiben.(28) Mit Schreiben vom 4. September 1951 wurde die Neugestaltung der Fassade am Gebäude Wagemannstraße 9 genehmigt.(29) Im April 1950 zeigt ein Foto aus dem Stadtarchiv Wiesbaden den „Eimer“ noch mit der Bezeichnung Binger Weinstube Karl Preisel. Zu diesem Zeitpunkt waren zumindest im mittleren der drei Fenster im Erdgeschoß noch teilweise die geätzten Scheiben erhalten. Damals hing eine Leuchtreklame auf Höhe des ersten Stockes, auf der „Binger Weinstube“ zu lesen war. Von einem „Eimer“ im Logo war nichts zu sehen.(30) Auf einem Bild von 1967 befindet sich das Lokal in der Wagemannstraße 9 nicht mehr als „Binger Weinstube“, sondern mit der Bezeichnung „Der Eimer“ und einem von der Fassade hängenden „Eimer“ aus Messing und Holz, der noch heute im Besitz der Familie Pfeifer ist.(31) Auf der Leuchtreklame selbst war noch „Binger Weinstube“ zu lesen. Auch nach der Namensänderung wirkte die Fassade zu diesem Zeitpunkt eher schmucklos. Auf dem Platz vor dem „Eimer“ waren mehrere Parkplätze für Autos vorhanden.(32) Diese Situation blieb auch bis 1975 erhalten. Lediglich eine neue Leuchtreklame mit der Aufschrift „Der Eimer“ war zwischen den schmucklosen Fenstern des ersten Stocks angebracht.(33) Seit den 1980er Jahren hat der „Eimer“ dann sein heutiges Erscheinungsbild. Zu dieser Zeit hing auch eine Leuchtreklame mit einem gefüllten Eimer am Haus.(34) Heute ist der obere Teil der Fassade, der schon seit einigen Jahren mit einem aufgemaltem Fachwerk auf Höhe des ersten und zweiten Stockwerks versehen ist, weiter nach unten gezogen, so daß dort, wo früher der Name der Gaststätte angeschrieben war, die hölzernen Verzierung der Anfangszeit abhanden gekommen ist. Heute ziert eine Leuchtreklame mit der Aufschrift „Weinstube der Eimer“ die Fassade. Eine weitere Leuchtreklame auf Höhe des ersten Stocks spricht von der „Binger Weinstube der Eimer“ und weist mit einem darunter hängenden Eimer auch den nicht Lesekundigen darauf hin, daß er sich dem „Eimer“ nähert.(35)

5. Wie alles anfing: Die Eröffnung am 11. Februar 1884

Erstmalig erwähnt wird die Gaststätte „Binger Weinstube“, zwar nicht namentlich, aber zumindest der Adresse nach, in einem Verzeichnis der Gast- und Schankwirte aus den frühen 1880er Jahren. Dieses Dokument wurde fortlaufend ergänzt und unter der laufenden Nummer 188 der Ergänzungen findet sich der Eintrag:

Metzgergasse 9 Külzer, Peter Schankwirt, 31.01.1884(36)

Wobei es sich bei dem genannten Datum um den Tag der Erteilung der Schankerlaubnis handelt. Am 10. Februar 1884 konnten die Wiesbadener dann auf den Titelseiten des Wiesbadener Anzeigeblatts und des Wiesbadener Tagblatts eine kleine Anzeige mit dem Hinweis lesen, daß am Folgetag in der damaligen Metzgergasse ein neues Lokal eröffnet werde.(37) Dies waren dann auch die einzigen nachweisbaren Werbemaßnahmen, die zur Eröffnung der „Binger-Weinschenke“(38) getätigt wurden. Hinsichtlich der angebotenen Speisen und Getränke ist in der Anzeige vermerkt, daß Peter Külzer nur „reine Weine“(39) aus Bingen ausschenken wollte, die zu denen aus eigener Herstellung kamen. Andere nicht auf Weinbasis hergestellte alkoholische Getränke, speziell Bier, wurden bis 1988 nicht ausgeschenkt. Zudem versprach der Wirt seinen Gästen, eine gute Küche zu führen. Weitere Informationen zum Unternehmenskonzept des Peter Külzer sind heute nicht mehr nachweisbar. Gleiches gilt für den Geschäftsbetrieb der ersten Jahre, da keine Geschäftsbücher oder Akten der Steuerverwaltung mehr vorliegen.

6. Wie der „Eimer“ zu seinem Namen kam

Was von Peter Külzer als „Binger Weinstube“ gedacht war, hat von den Wiesbadenern sehr schnell einen ureigenen Namen bekommen, der sich bis heute in der einen oder anderen Form erhalten hat. Wie die „Binger Weinstube“ zu ihrem Namen gekommen ist, wird in einem Artikel im Wiesbadener Tagblatt vom 18. November 1978 kurz und treffend dargestellt:

Wie die ´Binger Weinstubb´ in de Waachemannstrooß gebaut worn ist, war de Eröffnungsdaach schneller do wie die komplett Ferdichstellung, weenichsdens, was die sanidäre Aalaache bedrifft. Notdürfdich hot de domoliche Wert an Aamer hiigestellt. So is des Lokal zu seim Spitzname komme, un damit aach jo kaaner denke konnt, mit dem Aamer wär vielleicht e Dreckbitt gemahnt, hawwe die Leut noch e Hinweiswort devor gesetzt, un es heeßt halt seit ´ner klaane Ewich keit die ´Binger Weinstubb´ die [sic!] ´Besch… Eimer´.(40)

Immer wieder ist deshalb auch von der „Binger Weinstube“ als dem „beschissenen Eimer“ zu hören und lesen. Erstmals war die Namensvariante auf offiziellen Unterlagen im Jahr 1937 zu finden. Auf einer Postkarte firmiert die Gaststätte unter „Binger Weinstube“, aber mit dem Zusatz „im Volksmund: Der „besch …… Eimer“.(41) Trotz dauerhafter Bemühungen der späteren Wirtsfamilie Pfeifer ließ sich der um das Adjektiv ergänzte Name nicht mehr vollständig ausmerzen. Selbst auf Bildern aus den 1980er Jahren findet sich auf der Leuchtreklame am Gebäude noch ein gefüllter Eimer abgebildet.(42) Was an der Geschichte der Namensfindung der Wahrheit entspricht, was erfunden ist, beziehungsweise was im Laufe von über 100 Jahren hinzugedichtet worden ist, muß offen bleiben. Daß es mit der Toilettenanlage anfangs nicht zum Besten bestellt war, zeigte sich im Juli 1914. Als die Ära des 2. Wirts August Enders zu Ende ging, wurde dem Hauseigentümer von der Polizei zur Auflage gemacht, „ein Damenklosett nebst einem Herrenklosett und Pissoir einzurichten“.(43) Die bisherige Herrentoilette wurde hierzu in zwei Teile eingeteilt: in die neue Herrentoilette mit einem Pissoir und anschließen dem Herrenklosett sowie in eine Damentoilette. Das Licht für den vorderen Teil der Herrentoilette wurde über einen Lichtschacht, der an der Decke der Damen toi lette angebracht wurde, zugeführt. Aus diesem Grund hatte die Damentoilette nur noch eine lichte Höhe von 1,90 m. Um ihr die ausreichende Größe zu verschaf fen, wurde zudem auf einen kleinen Wirtschaftsraum, der neben dem Tresen lag, ver zichtet. Im gleichen Zusammenhang wurde auch die Eingangstür der Gast stätte nach hinten versetzt. Der bis heute bekannte schmale Eingang entstand. So gilt bis heute uneingeschränkt weiter, was bereits in den 1950er Jahren in einer amerikanischen Zeitung formuliert wurde:

„Its official name is the BINGER WEINSTUBE (Wagemannstr. 9), but to the Wiesbadener it can have no other name than Eimer“.(44)

7. Die Wirtsleute des „Eimer“

Die Geschichte des „Eimer“ ist, was die Pächter und das Personal betrifft, von einem hohen Maß an Kontinuität geprägt. Über viele Jahre waren regelrechte Gastwirts-Dynastien in der „Binger Weinstube“ zu finden. Erst in den letzten 20 Jahren war leider nur wenig Kontinuität zu erkennen. Die ersten knapp 20 Jahre bis 1906 führte Peter Külzer seine „Binger Weinstube“ selbst. Er dürfte am Ende seiner Tätigkeit etwa 50 Jahre alt gewesen sein. Viel ist über die Aktivitäten des ersten Wirts der „Binger Weinstube“ nicht überliefert. Nur an einer Stelle wird auf eine Maßnahme verwiesen, die Külzer ergriff, um sein Geschäft anzukurbeln. 1896 stellte er den Antrag, seine Schankstätte von der Metzgergasse in die Grabenstraße verlegen zu dürfen. Als Begründung gab er an, die Zustände in seiner Straße würden „die Fortsetzung seiner Wirtschaft gefährden“.(45) Es scheint also, daß die schon damals immer schwieriger werdende Nachbarschaft die Geschäfte beeinträchtigte, weshalb die Grabengasse die für anspruchsvolle Lokalitäten bessere Seite des „Schiffchens“ war. Dieses Gesuch wurde jedoch von der Stadt abgelehnt, da die Ratsherren vermuteten, daß Peter Külzer nur eine zweite Gaststätte eröffnen, die erste jedoch nicht schließen wolle. Von 1906 bis 1914 waren August Enders und seine Frau Wirtsleute im „Eimer“. Sie übergaben die Wirtschaft am 30. September 1914 an Philipp Schlosser, dessen Witwe Katharine Schlosser sie am 6. Mai 1923 übernahm und bis Ende November 1924 weiterführte.(46) Zum 15. November 1924 übernahm dann Karl Preisel, damals etwa 35jährig, mit seiner Frau Marie die Bewirtschaftung des „Eimer“. Zwischen dem 30. April 1932 und dem 28. Februar 1938 führte Marie Preisel den „Eimer“ dann allein, bevor sie das Lokal an ihren Neffen Josef Mundt übergab.(47) Karl Preisel muß wohl als Begründer des legendären Rufs des „Eimer“ gelten. In den Jahren bis 1932 wurde die heute noch bekannte Konstellation aus Musik, Stimmung und Atmosphäre etabliert und der Mythos „Eimer“ in die Welt hinaus getragen. In seiner Zeit ist nicht nur das Gästebuch begonnen worden, es sind auch Werbepostkarten entstanden, die ihn und seine Frau zeigen und auf denen folgende holprig gereimten Zeilen zu lesen sind:(48)

In unserm kleenste Heisel
Der engste Gaß
Ich oft beim gure Preisel
Gemietlich saß.
Der Wei´ duht goldig blinke
Im Glas, im Glas;
Un um die Wett´duht drinke
die lustig Blas.

Die Wei´stub unser Binger,
Mer lowe kann;
Se is e´ Freudebringer
For Fraa und Mann.
Hemdsärmelig zum Mole
Der Wirt steht do;
Sieht sei Gesicht er strohle,
Wird gleich mer froh.

Jedoch die Kron vom Heisel
is sie, nor sie.
Die immer lieb Fraa Preisel,
Marie, Marie!
Ach bring mer noch e´ Gläsche,
Es schmeckt famost,
Un wird aach rut mei Näsche
Prost! Prost! Prost!

Zu jener Zeit wurde auch der in Wiesbaden bis weit in die 1970er Jahre bekannte Musiker Hans Reppert fest angestellt(49), um die Gäste mit Live-Musik zu unterhalten. Zwischen dem 15. Februar 1943 und dem 31. Oktober 1945 war die „Binger Weinstube“ jedoch vorrübergehend geschlossen. Zu vermuten ist, daß Josef Mundt Militärdienst leistete, da er zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 35 Jahre alt war. Am 6. November 1945 eröffnete er die „Binger Weinstube“ jedoch schon wieder(50) und führte sie bis Ende Mai 1954. Knapp 30 Jahre lang war also die „Binger Weinstube“ eng mit den Namen Preisel verbunden, bevor eine neue, noch längere Ära begann.

eimer5

Abb. 2: Musik liegt in der Luft: Hans Reppert im Einsatz im Eimer, um 1960

Am 1. Juni 1954 ging das Gewerbe an den Weinkommissionär Reinhold Holschier über, der den „Eimer“ offiziell bis 1. Oktober 1954 betrieb und ihn Ende September 1954 an seine Frau übergab(51), die ihn bis zum 31. Januar 1955 fortführte.(52) Inoffiziell wurde der „Eimer“ bereits ab Mitte 1954 durch Gottfried Pfeiffer sen. bewirtschaftet, der aber zu diesem Zeitpunkt noch als Kellner bei der Spielbank angestellt war.(53) Ab Anfang Februar 1955 war dann Gottfried Pfeifer sen. Konzessionär der „Binger Weinstube“.(54) Vermutlich im August 1974 übergab er den „Eimer“ an seinen Sohn Gottfried Pfeifer jun., da zu diesem Zeitpunkt wieder ein Konzessionsantrag gestellt und von einem „G. Pfeifer“ unterschrieben wurde.(55) Seit dem 7. Februar 1977 firmierte der „Eimer“ unter „Binger Weinstube Der Eimer Pfeifer & Co.(56). Eigentümer waren Gottfried Pfeifer jun. und Gottfried Pfeifer sen. Die Offene Handelsgesellschaft (OHG) bestand bis zum 31. Oktober 1988. Damit endete auch die Ära Pfeifer im „Eimer“.(57) In dieser Zeit bekam der „Eimer“ sein bis heute so typisches Gesicht. Die Gemälde an den Wänden oberhalb der Holzvertäfelungen entstanden, die zahlreichen, noch heute an der Decke sichtbaren Postkarten und Weinetiketten wurden angebracht, wie der Vergleich von Ansichtskarten aus dem „Eimer“, die im Laufe vieler Jahre entstanden sind, beweist.(58) Nachdem die Familie Pfeifer den „Eimer“ über 30 Jahre geprägt hatte, übernahmen in der Folge zahlreiche Pächter für kürzere Zeiträume das Lokal. Von Ende Januar 1988 bis Oktober 1995 war Wolfgang Simon Wirt.(59) Auch er führte die „Eimer“-Tradition fort: Auf einem Streichholz-Briefchen aus den späten 1980er Jahren wird vermerkt, daß im „Eimer“ Riesling-Weine aus den besten Lagen des Rheingaus angeboten würden und zudem die „Küche […] Spezialitäten nach Hausmacher Art“(60) biete. Täglich ab 20 Uhr musizierte auch ein Pianist im „Eimer“.

eimer3Abb. 3: Postkarte aus dem Eimer, um 1980

Im Anschluß ging das Lokal für knapp sechs Jahre an Karl-Günther Klein(61), bis nach mehreren Pächterwechseln(62) in kurzer Zeit der „Eimer“ ab 2003 von Hans-Georg Oehlkers betrieben wurde.(63) Ab diesem Zeitpunkt waren auch die gastronomischen Möglichkeiten im „Eimer“ beschränkt. Aufgrund der baulichen Situation wurden vom Gewerbeamt folgende Auflagen gemacht: „Da keine ausreichende Kochküche vorhanden ist, wird das Speisen-Sortiment beschränkt auf kalte Speisen. Zu diesen gehören Belegen von Brot und Brötchen, Zubereiten von Salaten, Abgabe von Käseprodukten. Aufgrund brandschutzrechtlicher Bedenken dürfen im Geschoß oberhalb des Gastraums keine Menschen mehr wohnen. Die Darbietung von Life-Musik wird beschränkt auf das Spielen mit Klavier ohne Verstärkeranlagen.“(64) Durch den plötzlichen Tod von Hans-Georg Oehlkers 2005 wurde ein weiterer Pächterwechsel notwendig und Anni Klosa übernahm den „Eimer“ Anfang 2006.(65) Ihr Ziel ist es, die legendäre Atmosphäre des „Eimer“ auch in Zukunft zu pflegen. Auch weiterhin gibt es kleine Speisen, an vielen Tagen Live-Musik diverser Musiker sowie die berühmten regelmäßigen Stammtische.(66)

8. Hauseigentümer

Eine noch größere Kontinuität weisen die Eigentumsverhältnisse des Hauses Wagemannstraße 9 selbst auf. Das Haus Metzgergasse 9 bzw. Wagemannstraße 9war in den Jahren, als der „Eimer“ eröffnet wurde für mindestens 10 Jahre bis 1889 im Besitz der Familie Boltz, kurzfristig übernahm 1889 ein neuer Eigentümer dasGebäude, bevor Peter Külzer selbst bis 1900 auch Eigentümer des Hauses wurde. In den Jahren von 1900 bis 1907 gab es zahlreiche Eigentümer, die alle nicht aus Wiesbaden stammten, sondern aus Hochheim, Frankfurt und Göttingen kamen. Hiermit enden auch schon die Wechsel in den Eigentumsverhältnissen. Seit 1907 war das Gebäude im Besitz von Philipp Hölzer, einem Wiesbadener Geflügelhändler, dessen Nachfahren bis heute Eigentümer des Hauses Wagemannstraße 9 sind. Sie verwalten das Gebäude gemeinsam unter dem Namen Erbengemeinschaft Philipp Hölzer.(67)

9. Traditionell ist es die Musik, die alle beflügelt

Auf die Frage, was den „Eimer“ so besonders macht und ihn in Erinnerung bleiben läßt, kommt immer wieder als Antwort, es sei das Zusammenspiel aus Musik, Ambiente, Menschen und der beschwingenden Wirkung des Weines. Den wohl wesentlichen Beitrag zum Gelingen dieses Mix bilden die Musiker und hier besonders die Klavierspieler im „Eimer“, da sie – nachweisbar seit nunmehr gut über 80 Jahren – immer wieder dazu beitragen, die Stimmung der Gäste zu beflügeln. Erstmals in den Quellen nachvollziehbar ist das Thema Musik und Musizieren im „Eimer“ bereits in den 1920er Jahren. Zahlreiche Hinweise aus dem Goldenen Buch des Lokals, aus Artikeln über den Musiker Hans Reppert und auf den vorliegenden Postkarten aus dem „Eimer“ zeigen, daß schon damals ein Klavier vorhanden war, gern und viel auch von den Gästen selbst musiziert wurde. Knapp 50 Jahre hat ein einziger Mann, der damals in Wiesbaden recht bekannte Hans Reppert, das musikalische Gesicht des „Eimer“ geprägt. Seit 1927 hat er, beinah ein halbes Jahrhundert lang, Abend für Abend im „Eimer“ die Gäste unterhalten. Erst 1975 hat er seine Tätigkeit beendet und „den Klavierdeckel runter geklappt“(68). Ob am Klavier, am Schifferklavier oder mit Gesang, seine Auftritte im „Eimer“ waren weit über Wiesbaden hinaus berühmt: „An American visitor once told Hans [Reppert, H. Z.] I heard you singing a few weeks ago back in the States.“(69) Amerikanische Gäste hatten während ihres Aufenthalts eine Tonbandaufnahme angefertigt und diese mit nach Amerika genommen.(70) Mit einer bunten Mischung aus Klassik, Weinliedern und Schlagern der Zeit traf er den Nerv des Publikums und setze Maßstäbe bis heute. Eindrucksvoll beschreibt ein amerikanischer Reporter die von Hans Reppert erzeugte Stimmung im „Eimer“:

He has a big repertoire of wine lieder, and the guests join in with them regardless of their vocal talents, or lack of them. They rock back and forth in their seats in rhythm to the music, and you will be carried along with them whether you´re in the mood for such things or not.(71)

Seit etwa 1988 spielte der Ungar Andor Varga für einige Jahre im „Eimer“. Zu dieser Zeit wurde noch fünfmal in der Woche von dienstags bis samstags Life-Musik geboten. Das für den „Eimer“ typische Repertoire an Musikstücken, speziell an Schlagern, Musical-Melodien, Stimmungsliedern und einigen Weinliedern blieb aber auch unter Varga erhalten.(72) Nunmehr, seit gut 30 Jahren spielen Karl „Charly“ Nägler und Wilfried Wilk virtuos am Klavier. Doch nicht nur die angestellten oder ehrenamtlichen Musiker musizieren im „Eimer“, auch die Gäste bringen sich mit Gesang und Spiel ein. Am Montag findet immer wieder – und das nachweisbar schon seit ebenfalls weit über 30 Jahren – ein Stammtisch von Sängern und Musikern statt. Zahlreiche Teilnehmer der Runde haben sogar eine Gesangsausbildung, sangen am Wiesbadener Staatstheater oder an ande ren Häusern.(73) Begleitet wird der sangesfreudige Stammtisch von Charly Nägler. Speziell in den Wintermonaten ist er im „Eimer“ zu finden, denn im Hauptberuf ist er Winzer und nebenbei Inhaber des Rheinschiffahrtspatents.(74) Wohl einer der bekanntesten Musiker im „Eimer“ ist der am 12. März 1928 in Wiesbaden geborene deutsche Pianist, Bandleader und Sänger Paul Kuhn. Wie in zahlreichen Quellen berichtet wird, hat Kuhn schon als Schüler auf dem Akkordeon ab und an im Wiesbadener Weinlokal „Eimer“ für die Gäste gespielt.(75)

10. Das Goldene Buch – eine Zeitreise durch fast 60 Jahre „Eimer“

Seit August 1928 wird in der „Binger Weinstube“ ein Goldenes Buch geführt. In dunkelrotem Leder gebunden, ist es eine unschätzbare Quelle für die Stimmung und das Leben im „Eimer“. Deutlich werden schon bei den ersten Einträgen die bunte Mischung aus lokalen und internationalen Gästen, die fröhlichen Aktivitäten im „Eimer“ und die Stimmung, die bis heute dort typisch ist. Bereits der erste Eintrag zeigt, wie musikalisch es im „Eimer“ schon immer zuging. Ein Kurgast notierte die ersten Notenzeilen aus Paganinis „Capricci“ und vermerkte darunter treffend:

Erholungsstunden während der Kur findet man in der Binger Weinstube nur!(76)

Ein zweiter Eintrag verkündet auf englisch kurz und knapp:

I had the best times of my life in the Binger Weinstube(77),

und man glaubt es dem Schreiber auf jeden Fall. Ähnliche Einträge finden sich für die Jahre bis 1930 von zahlreichen Ärzten, ehemaligen Militärs, aber auch vielen Menschen, von denen nur der Name bekannt ist. Wie bis heute üblich, scheint es schon damals sehr musikalisch zugegangen zu sein, denn zahlreiche Gäste bedankten sich in Texten und Bildern für die schönen Stunden, die Musik und die guten Weine. Ende der 1920er Jahre enden auch die Aufzeichnungen des Gästebuchs, um dann wieder Mitte der 1950er Jahre zu beginnen. 1954 z. B. notierte die Sopranistin
Hannelore Backrass, die damals am Wiesbadener Staatstheater auftrat, sie habe viele frohe Stunden […] in angenehmer Gesellschaft erlebt.(78) An anderer Stelle grüßen die
Schauspieler Hubert von Meyerinck und Grete Reinwald und bedanken sich für die Gastfreundschaft.(79)

Von besonderer Anziehungskraft schien gerade in den 1950er Jahren die „Binger Weinstube“ für amerikanische Soldaten zu sein. Zahlreiche Einträge im Gästebuch des „Eimer“ zeugen von Besuchen ehemaliger G.I.s in Wiesbaden.(80) Auf vielen Seiten finden sich auch Schriftzeichen aus Indien, China oder Japan. Doch nicht nur die geschriebenen Einträge im Gästebuch des „Eimer“ sind sehenswert, auch die meist aus dem Stehgreif entstandenen Gemälde sind von besonderem Interesse. Ein besonders schönes Beispiel findet sich auf einer Seite aus den 1950er
Jahren, da auf diesem Bild mehrere Dinge zu erkennen sind. Zum einen ist diel angsame Veränderung des „Eimer“ zu der Kneipe, wie sie heute noch existiert, zu erkennen. An den Decken befinden sich die ersten Grußkarten der Gäste, viele von amerikanischen Soldaten, wie Gottfried Pfeifer jun. in einem Gespräch anmerkte. An den Wänden oberhalb der Holzvertäfelung sind schon die Gemälde und Bilder erkennbar, die bis heute sein inneres Erscheinungs bild prägen. Angeblich soll man sogar die Gäste, die einem Bild abgebildet sind, erkennen können. Sicher auszumachen ist, daß Hans Reppert am Klavier sitzt und Gottfried Pfeifer sen. hinter der Theke steht.(81)

War es bis um 1955 durchaus üblich von der „Binger Weinstube“ zu sprechen, setzte sich im Laufe der Zeit immer mehr der Name „Eimer“ auch im Goldenen Buch durch. So füllen kleine Anmerkungen von Gästen aus mehreren Jahrzehnten, denen es im „Eimer“ gefallen hat, die Seiten und zeugen von großer Kontinuität des Lokals. In kleinen Zeichnungen werden zudem alltägliche Ereignisse oder Wiesbadener Besonderheiten, wie das Pfingstturnier, skizziert und an der einen oder anderen Stelle versuchte sich auch mancher Gast als Poet und formulierte kleine Gedichte, die in mehr oder weniger gelungener Form das Erlebte im „Eimer“ charakterisieren. Immer wieder wird auch auf die Geschichte des „Eimer“ und die Entstehung seines Namens in Zeichnungen und Texten angespielt. Die Zahl der in Worten und Bildern dargestellten Vermutungen, wie es zum Namen der „Eimer“ kam, geht ins Unendliche.

So mancher Gästebucheintrag wird wohl auf Dauer unbeachtet bleiben, da zahlreiche Gäste in ihrer Muttersprache ihre Eindrücke verewigt haben. Sei es in Arabisch oder in Chinesisch, immer wieder finden sich Einträge ausländischer Gäste.Ob es ihnen gefallen hat, kann jedoch nicht gesagt werden, da dem Autor die Sprach kenntnisse fehlen. Einige besonders schöne Seiten finden sich in den Jahrenum 1965, als ein Gast die gesamte Stammbelegschaft des „Eimer“ porträtiert hat. Sowohl der Musiker, als auch die Bedienung und der Wirt wurden verewigt.
Aber auch einige Stammgäste fanden in diesem Zusammenhang den Weg ins Gästebuch.

Bis weit in die 1970er Jahre sind immer wieder Besuche von damals bekannten Künstlern aus nah und fern zu finden. Zahlreiche Künstler, die Engagements in Wiesbaden hatten, waren zu Gast im „Eimer“. Egal ob lokale Stars wie die Opernsängerin und Fassenachterin Herti Schneider oder der Schauspieler Harald Leipnitz, der über 40 Jahre in diversen deutschen und internationalen Filmen mitspielte, und der Sänger Willy Hagara, der mit Liedern wie „Cindy, oh Cindy“ und „Mandolinen und Mondschein“ in den 1950er und 1960er Jahren große Bekanntheit erlangte, alle waren hier zu Gast.

11. Zu Ehren des „Eimer“

Daß der „Eimer“ in Wiesbaden bei vielen Menschen bekannt ist, wird in Gesprächen mit Wiesbadenern immer wieder schnell deutlich. Welche Bedeutung die kleine Gaststätte in der Wagemannstraße für die Stadt Wiesbaden hat, wurde erst im Jubiläumsjahr erkennbar.

Zum Tage des Jubiläums, am 11. Februar 2009, wurde dem „Eimer“ durch Oberbürgermeister Dr. Helmut Müller die Stadtplakette in Gold verliehen. Wie das Wies badener Tagblatt vermerkte, fand sich der Oberbürgermeister nach Übergabe der Plakette und der dazugehörigen Ehrenurkunde urplötzlich im Kreise heftig feiernder Stammgäste wieder. Angeblich wurde sogar mehrmals, wie hinter vorgehaltener Hand berichtet wird, auf das Jubiläum angestoßen.(82)

Selbst die Frankfurter Rundschau und Frankfurter Allgemeine Zeitung ließen es sich nicht nehmen, von der Verleihung der Stadtplakette der Stadt Wiesbaden in ihrer edelsten Ausführung83 zu berichten. Im Sommer konnte die Wirtin des „Eimer“ dann auch noch eine Ehrenmedaille der Industrie- und Handelskammer entgegennehmen, was zeigt, wie beliebt und bekannt die „Binger Weinstube“, der legendäre „Eimer“, auch heute noch in Wiesbaden ist.


Fußnoten:

1 Sollte der eine oder andere Leser Hinweise auf weitere Quellen zum Thema kennen, ist der Autor über entsprechende Hinweise dankbar.
2 Mein herzlicher Dank gilt Herrn Günter Koch aus Taunusstein, der zahlreiche alte Karten aus dem „Eimer“ freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.
3 Vgl. Sigrid RUSS (Bearb.): Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Kulturdenkmäler in Hessen. Wiesbaden I, Band 1, Stuttgart 2005, S. 133.
4 Vgl. Gretel BAUMGART-BUTTERSACK: Das Schiffchen, in: Wiesbadener Leben, Heft 6/1986, S. 34.
5 Vgl. RUSS (wie Anm. 3), S. 135.
6 Vgl. RUSS (wie Anm. 3), S. 135.
7 Vgl. RUSS (wie Anm. 3), S. 135.
8 Vgl. RUSS (wie Anm. 3), S. 135–136.
9 Vgl. RUSS (wie Anm. 3), S. 136.
10 Vgl. Wiesbadener Tagblatt, 13. November 1951, Art: „Wagemannstraße – eine der ältesten Geschäftsstraßen“.
11 Vgl. Wiesbadener Tagblatt (wie Anm. 10).
12 Vgl. RUSS (wie Anm. 3), S. 136.
13 Vgl. RUSS (wie Anm. 3), S. 136.
14 Vgl. BAUMGART-BUTTERSACK (wie Anm. 4), S. 35.
15 Vgl. RUSS (wie Anm. 3), S. 135.
16 Vgl. http://www.der-Eimer.de/html/historische_bilder.html [Stand 18.1.2010], Art. „THE EIMER. Wiesbaden´s Center of Gay Gemütlichkeit“.
17 Vgl. RUSS (wie Anm. 3), S. 134.
18 Vgl. RUSS (wie Anm. 3), S. 134.
19 Vgl. RUSS (wie Anm. 3), S. 134, Abbildung oben rechts.
20 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW), Abt. 433 Nr. 7421 A, Flurnummer 3029.
21 HHStAW (wie Anm. 20), Flurnummer 3029.
22 HHStAW (wie Anm. 20), Beilage, Karte um 1910.
23 HHStAW, Abt. 433 Nr. 7326, S. 124–125.
24 Vgl. Mietvertrag Karl Preisel vom September 1930. Das Dokument befindet sich in Kopie im Besitz der Wirtin.
25 Vgl. ebd.
26 Stadtarchiv Wiesbaden (StadtAWi), Digitales Multimedia-Archiv, Foto 005195.
27 Bauaufsichtsamt der Landeshauptstadt Wiesbaden (Bauaufsicht), Akte 40911, 10. August 1951.
28 Ebd.
29 Bauaufsicht (wie Anm. 27), 4. September 1951.
30 StadtAWi (wie Anm. 26), Foto 006494. Ähnliche Ansicht, etwas unscharf im Bildarchiv der Rhein-Main-Presse.
31 Bildarchiv Rhein-Main-Presse (Bildarchiv RMP), Ablage Wagemannstraße Wiesbaden, Aufnahme von 1967.
32 StadtAWi (wie Anm. 26), Foto 14638.
33 StadtAWi (wie Anm. 26), Foto 004647.
34 Landesamt für Denkmalpflege Wiesbaden, Bildersammlung, Abbildung „Eimer“ von 1985.
35 Vgl. RUSS (wie Anm. 3), S. 134.
36 HHStAW, Abt. 408 Nr. 31, S. 19.
37 Vgl. Wiesbadener Tagblatt, 10. Februar 1884, Titelseite; Wiesbadener Anzeigeblatt, 10. Februar 1884, Titelseite.
38 Vgl. Wiesbadener Anzeigeblatt, 10. Februar 1884, Titelseite.
39 Vgl. Wiesbadener Anzeigeblatt (wie Anm. 38), Titelseite.
40 Vgl. Wiesbadener Tagblatt, 18. November 1978, Art. „For nix un widder nix“.
41 Werbepostkarte von Karl Preisel vom 14. März 1937 (im Eigentum des Autors).
42 Vgl. Landesamt für Denkmalpflege Wiesbaden (wie Anm. 34), Abbildung „Eimer“ von 1985.
43 Bauantrag vom 20. August 1914. Eine Kopie des Dokumentes befindet sich im Besitz der Wirtin des Eimer.
44 http://www.der-Eimer.de/html/historische_bilder.html [Stand 18. Januar 2010], Art. „THE EIMER. Wiesbaden´s Center of Gay Gemütlichkeit“.
45 Wiesbadener Tagblatt, 23. Januar 1971, Art. „Garage für 1 PS“.
46 StadtAWi, Gewerbekartei, Karteikarte Preisel, Marie.
47 Ebd.
48 Werbepostkarte von Karl Preisel vom 14. März 1937 (im Eigentum des Autors).
49 Es handelte sich tatsächlich um eine Festanstellung, nicht um ein mehr oder minder regelmäßiges Engagement.
50 StadtAWi, Gewerbeanmeldungen 1911–1949.
51 Bauaufsicht (wie Anm. 27), Schreiben vom 8. September 1954.
52 StadtAWi (wie Anm. 46), Karteikarte Holschier, Reinhold.
53 Mündliche Auskunft Gottfried Pfeifer jun. vom Februar 2009.
54 Bauaufsicht (wie Anm. 27), 29. Januar 1955.
55 Bauaufsicht (wie Anm. 27), 12. August 1974, Ermittlung zum Konzessionsantrag.
56 Amtsgericht Wiesbaden, Auszug aus dem Handelsregister A 2898.
57 Ebd.
58 Innenaufnahmen aus dem „Eimer“ aus den 1950er bis 1980er Jahren, zu finden unter http://www.der-Eimer.de/html/historische_bilder.html [Stand 10. Januar 2010].
59 Bauaufsicht (wie Anm. 27), 29. Januar 1988, Stadt Wiesbaden.
60 Werbestreichholzbriefchen aus den 1980er Jahren (im Besitz des Autors).
61 Vgl. Wiesbadener Tagblatt, 30. September 1995; Bauaufsicht (wie Anm. 27), 12. Oktober 1995.
62 Bauaufsicht (wie Anm. 27), 19. November 2001 und 5. November 2002.
63 Bauaufsicht (wie Anm. 27), 7. Januar 2003.
64 Bauaufsicht (wie Anm. 27), 7. Januar 2003.
65 Bauaufsicht (wie Anm. 27), 28. Dezember 2005.
66 Vgl. Zeitungsausschnitt (wahrscheinlich Wiesbadener Tageblatt), um 2005. Das Dokument befindet sich in Kopie im Besitz der Wirtin.
67 Vgl. Schreiben von Herrn Hinterberger an den Autor vom 27. November 2008.
68 Vgl. Wiesbadener Tagblatt (wie Anm. 40), Art.: „For nix un widder nix“.
69 http://www.der-Eimer.de/html/historische_bilder.html [Stand 18. Januar 2010], Art. „THE EIMER. Wiesbaden´s Center of Gay Gemütlichkeit“.
70 Vgl. ebd.
71 Vgl. ebd.
72 Vgl. Wiesbadener Tagblatt, 12. Dezember 1990, Art.: „Eigentlich war ich völlig unmusikalisch“.
73 Vgl. Wiesbadener Tagblatt, 11. Februar 2006, Art.: „Singender Montagsstammtisch im Eimer“.
74 Vgl. Wiesbadener Tagblatt, 4. Dezember 2003, Art.: „Das gibt’s nur einmal am Kneipenklavier“.
75 Vgl. Die Welt, 12. März 2008, Art. „Paul Kuhn, der Mann am Klavier, wird 80“.
76 Vgl. Goldenes Buch der „Binger Weinstube“, S. 1. Das Goldene Buch befindet sich im Eigentum von Gottfried Pfeifer jun. Dem Autor liegen alle Seiten in Kopie vor.
77 Vgl. Goldenes Buch (wie Anm. 76), S. 2.
78 Vgl. Goldenes Buch (wie Anm. 76), S. 8.
79 Vgl. Goldenes Buch (wie Anm. 76), S. 10.
80 Vgl. Goldenes Buch (wie Anm. 76), S. 13 und S. 14.
81 Vgl. Goldenes Buch (wie Anm. 76), S. 21.
82 Vgl. Wiesbadener Tagblatt, 12. Februar 2009, S. 14, Art.: „Solche Stadtplaketten würde der Oberbürgermeister gern öfter verleihen“.
83 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Februar 2009, S. 46, Art.: „Stadtplakette im ´Eimer´“. Anmerkung: die Feier fand erst am Abend des 11. Februar 2009 statt, die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat die Ergebnisse der Feier schon vorweggenommen.

2 Kommentare

  1. Ich erinnere mich noch gerne an einen froehlichen Abend Anfang der 60-ziger, als Hans sein 30-jaehriges (35-j. ?) Pianistenjubibilaeum im Eimer gefeiert hat. Ueber Ihren Artikel habe ich mich sehr gefreut.

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